Erwartungen, oder bitte machen Sie sich frei!

Erwartungen, oder machen Sie sich bitte frei!

Seit langer Zeit erlebe ich Diskussionen zum Thema Erwartungen. Die einen meinen, es wäre besser keine zu haben. Die anderen glauben, dass Erwartungen wichtig sind. Ich gehöre zur zweiten Position. Ich bin sogar der Meinung, dass ein Leben ohne Erwartungen unmöglich ist.

Nun studiere ich ja gerade „Systemische Beratung“. Eine der Grundlagen der „Systemischen Beratung“ ist die Theorie der sozialen Systeme. Diese Theorie bestätigt meine Annahme. Ich liebe es, wenn eine Theorie meine Erwartungen erfüllt. Spaß beiseite.

Wenn, wie ich behaupte, Erwartungen unabdingbar zum Leben gehören, dann ist für mich die zentrale Frage, wie wir mit ihnen umgehen. Mit Erwartungen, die wir an andere und die Welt haben, sowie solchen, die an uns gestellt werden. Darum wird es am Ende des Textes gehen.

Bitte machen Sie sich frei!

Das ist eine Aussage, die wir beispielsweise beim Arztbesuch erwarten. Manchmal kommt noch ein „obenrum“ hinzu. In einer Bäckerei würde die Aussage zwar originell sein, uns höchstwahrscheinlich gleichzeitig deutlich irritieren. Unsere Erwartungen und die Erwartungen, die die Ärztin beziehungsweise der freundliche Verkäufer an uns stellt, würden wir in der Bäckerei eher nicht erfüllen.

Das bringt mich zum ersten großen Punkt im Thema Erwartungen. Du bist nicht auf dieser Welt um die Erwartungen anderer zu erfüllen! Du selber entscheidest, wie du mit den Erwartungen umgehst. Das gleich gilt natürlich ebenfalls für die anderen Menschen im Bezug auf deine Erwartungen.

Spielen wir den Gedanken mit den Erwartungen noch etwas weiter. Wenn wir zum Frisör gehen, erwarten wir, dass dieser uns die Haare schneidet. Wir gehen weiterhin davon aus, dass auf einem Tisch Zeitungen liegen, in die wir hineinschauen können, während wir auf unseren Termin warten.

Wir erwarten auch, dass er sein Handwerk versteht. Was wir hingegen nicht erwarten ist, dass er uns ein breites Angebot von Obst und Gemüse vorstellt. Eine Wage hat und uns dann eine Tüte Äpfel verkauft. Klingt banal oder? Ist es auch!

Und genau in dieser Banalität zeigt sich, wie wichtig Erwartungen für unser Leben sind. Wir hätten echt Probleme, wenn wir vor einem Frisörladen stehen und keine Ahnung hätten, was uns da drinnen erwartet.

In anderen Kulturen ist das anders. In Thailand gibt es beispielsweise beim Frisör auch Snacks, und wenn er gerade keine Kunden hat, repariert er Handys. Kulturen sind ebenfalls durch Erwartungen geprägt.

Erwartungen und Erwartungserwartungen

Erwartungen und Erwartungserwartungen

Erwartungswas? Erwartungserwartungen sind ein wichtiges Prägeglied für Kulturen. Wenn du zum Beispiel bei einer Firma neu anfängst, wirst du dir die in der Firma gelebte Kultur genau anschauen. Für dich, wie für jeden Anderen, der hier arbeitet, ist es eine zentrale Frage, wie hier gearbeitet wird und welche Regeln gelten.

Darüber hinaus wirst du darauf achten, welche Erwartungen die Anderen, beispielsweise dein Chef an dich haben. Du erwartest also, dass die anderen Erwartungen an dich haben. Das ist dann deine Erwartungserwartung. Das Gleiche gilt für Familien, Paarbeziehungen und Freundschaften.

In diesem Bereich zeigt sich eine Schwierigkeit von Erwartungen. Sie werden oftmals nicht explizit benannt. Gerade in einer gesellschaftlichen oder familiären Kultur werden dir die Erwartungen beigebracht, bevor du überhaupt sprechen kannst. Sie werden vorausgesetzt.

In anderen Bereichen ist das nicht anders. Bestimmte Dinge werden vorausgesetzt. In einer Firma kann das der Kleidungsstiel sein oder ob man sich untereinander mit „Du“ oder „Sie“ anspricht. Deutlich werden solche unausgesprochenen Erwartungen erst, wenn gegen sie verstoßen wird.

Solche Situationen grenzen zum Teil schon an Gedankenlesen. Du musst herausfinden, welche Erwartungen an dich gestellt werden, ohne dass sie explizite benannt werden. Daraus folgt ein weiter Nachteil von Erwartungen. Menschen orientieren sich, auch an den unausgesprochenen Erwartungen anderer. Dies vor allem, wenn es um hierarchische Positionen geht. Vorgesetzter – Mitarbeiter, Eltern – Kinder oder Lehrer – Schüler…

Erwartungen formen Menschen

Ein Experiment mit tiefen Einsichten

Eine Gruppe von Schülern wurde auf ihre Intelligenz getestet. Danach wurde die Gruppe in zwei Klassen aufgeteilt, so dass sich durchschnittlich der gleiche Intelligenzquotient pro Klasse ergab. Den Lehrern der einen Klasse wurde gesagt, dass es sich bei der Klasse um eine überdurchschnittlich intelligente Klasse handeln würde. Den Lehrern der anderen Klasse erzählte man hingegen, dass ihre Klasse deutlich unterhalb der durchschnittlichen Intelligenz lag.

Es wurden Erwartungen gesetzt. Die Lehrer erwarteten, dass ihre jeweilige Klasse entweder über- oder unterdurchschnittlich intelligent ist. Um es hier nochmals in Gedächtnis zu rufen, beide Klassen besaßen in etwa die gleiche „Gesamtintelligenz“.  Nach einem Jahr lag der Notendurchschnitt der Klasse, die als intelligent eingestuft worden war eine ganze Note über der, die als wenig intelligent galt.

Das gesamte Experiment ist wissenschaftlich durchaus umstritten. Es zeigt jedoch auf, wie sich Erwartungen, wie jemand oder eine Situation ist, auswirken können. Erwartungen formen Menschen und uns selbst. Sie sind gleichsam ebenfalls die Grundlage für unsere Glaubenssätze. Glaubenssätze bilden die Grundlage, wie wir die Welt und uns selber wahrnehmen.

Umgang mit Erwartungen

Im bisherigen Bereich habe ich dir, hoffentlich, aufgezeigt, dass Erwartungen ein fester Bestandteil im menschlichen Miteinander sind. Daher glaube ich auch nicht, dass es dir gelingen wird, wie einige Trainer und Coaches es empfehlen, keine zu haben.

Manchmal wäre es auf den ersten Blick natürlich schön, keine Erwartungen zu haben. Wie ich weiter oben bereits geschrieben habe, niemand ist auf der Welt um die Erwartungen anderer zu erfüllen. Deswegen ereilt uns manchmal ein Gefühl der Enttäuschung, wenn sich unsere Erwartungen an andere oder an Situationen nicht erfüllen.

Ich sehe da noch ein Problem mit den Erwartungen, dass du, sicherlich auch schon erkannt hast. Viele Erwartungen sind uns gar nicht bewusst und die wenigsten werden offen ausgesprochen. Daher solltest du ab jetzt etwas Detektiv spielen. Welche Erwartungen gibt es in deinem Leben? Von deinen Freunden? Von dir in Richtung anderer? Deiner Familie? Auf der Arbeit? An dich selber? … Suche gezielt nach solchen Erwartungen.

Wenn du sie für dich entdeckt hast, gewöhne dir an, sie möglichst oft auch auszusprechen. Sprich ruhig auch mal die Erwartungen aus, die du an dich selber hast. Wie fühlt sich das an, wenn du diese „Selbsterwartungen“ laut aussprichst? Passen sie oder solltest du sie verändern?

Positive Erwartungen

Positive Erwartungen

Ich gehe jetzt mal von mir aus. Ich erwarte eigentlich von jedem Tag, dass es ein guter Tag wird. Eigentlich bedeutet natürlich, dass es Ausnahmen gibt. Dazu gleich mehr. An so einem Tag, von dem ich die Erwartung hatte, dass es einer der Besten meines Lebens werden würde, überfuhr ich kurzerhand ein Stoppschild. Dieser Tag war gelaufen.

Positive Erwartungen sorgen leider nicht automatisch für positive Ergebnisse. Dennoch halte ich an meinem „Ritual“ fest. Auch morgen wird wieder ein verdammt guter Tag. Ich habe für mich festgestellt, dass wenn ich von positiven Erwartungen geprägt bin, ich eher die angenehmen Seiten des Lebens wahrnehme.

Diese Empfehlung würde ich dir an dieser Stelle gerne mitgeben. Wo immer möglich, erwarte von Menschen und Situationen Positives. Wie du vielleicht an dem Schulbeispiel gesehen hast, wirken sich deine Erwartungen auf die anderen aus. Und nicht immer klappt es damit besser. Manchmal allerdings schon und das ist es auf jeden Fall wert. Probiere es doch einfach mal für dich aus.

Negative Erwartungen

Negative Erwartungen

Nun, manchmal ist es bei mir halt auch so, dass ich keine positiven Erwartungen zustande bringe. Ich kränkle, habe ein schwieriges Gespräch vor mir oder, was für mich das wirklich schwierigste ist, ich habe Mist gebaut. Dann will sich partout keine positive Erwartung einstellen. Fände ich ehrlich gesagt auch komisch.

Hier versuche ich, gezielt gegenzusteuern. Ich sehe zu, dass ich in einen neutralen Bereich komme. Was kann ich trotz Krankheit heute gutes für mich tun? Wie kann ich mich bestmöglich auf das Gespräch vorbereiten? Was habe ich aus meinen Fehlern gelernt und wie kann ich sie beim nächsten Mal vermeiden?

Mich zu hinterfragen und nach Lösungen zu suchen hilft mir meist, in ein neutrales Gefühl zu kommen. Da wir hier unter uns sind. Es klappt noch nicht jedes Mal, aber jedes Mal werde ich besser darin.

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